Das Studium oecologicum ist ein Kernprogramm zur Förderung der Nachhaltigkeit, das von einer Gruppe studentischer Vertreter der Universität Potsdam für Studierende aller Fachrichtungen organisiert wird. Cornelia E Nauen von Mundus maris war in diesem Zusammenhang eingeladen, am 19. November 2021 einen Vortrag über die Bedeutung der Überfischung und deren Zusammenhang mit den weltweit akzeptierten Nachhaltigkeitszielen zu halten. Überfischung wird oft mit nicht nachhaltigen oder sogar kriminellen Praktiken in Verbindung gebracht und hat weitreichende negative Auswirkungen auf die marine Biodiversität, die Fähigkeit des Ozeans und seiner Ökosysteme, den Klimawandel zu bewältigen, unsere Versorgung mit Meeresfrüchten und das Leben der Menschen in der handwerklichen Fischerei, die von einem gesunden Ozean abhängen.
Der Vortrag wurde aufgezeichnet, um mehr Studenten die Möglichkeit der Teilnahme zu geben und die Fragerunde zu hören, falls sie den live Vortrag verpasst haben. Die komplette Powerpoint-Präsentation (auf Deutsch) ist durch Klicken auf den Link verfügbar. Hier nur ein paar Highlights.
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG), die 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurden, können als aufeinander aufbauende Schichten verstanden werden, die unser Leben und unsere Zivilisationen tragen. Die unterste Schicht oder das Fundament der Biosphäre besteht aus den SDGs 6 (Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen), 13 (Klimaschutz), 14 (Leben unter Wasser) und 15 (Leben an Land).
Die SDGs, die auf eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung abzielen, sind die folgenden: 1 (Keine Armut), 2 (Kein Hunger), 3 (Gute Gesundheit und Wohlbefinden), 4 (Qualitativ hochwertige Bildung), 5 (Gleichstellung der Geschlechter), 7 (Erschwingliche und saubere Energie), 11 (Nachhaltige Städte und Gemeinden), 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen).
Die dritte Ebene der SDGs konzentriert sich darauf, die Wirtschaft in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft zu stellen, indem sie sich auf die SDGs 8 (Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum), 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur), 10 (Abbau von Ungleichheiten) und 12 (Verantwortungsvoller Konsum und Produktion) konzentriert.
An der Spitze steht das SDG 17, in dem anerkannt wird, dass seine Umsetzung von einer partnerschaftlichen Realisierung der Ziele und der Zusammenarbeit abhängt.
Wie hängt die Überfischung mit den SDGs zusammen? Beginnen wir mit einigen Definitionen aus Pauly (1988) (1):
Wachstumüberfischung – die Fische werden zu klein gefangen (Jungfische), um den maximalen Dauerertrag (maximum sustainable yield - MSY) zu erzielen.
Rekrutierungsüberfischung – zu wenige Jungfische können für die Fischerei heranwachsen, weil der Elternbestand dezimiert ist oder z. B. die Aufwuchsgebiete (z. B. Mangroven) geschädigt sind.
Wirtschaftliche Überfischung - der Fischereiaufwand ist höher als für die Erzielung eines maximalen wirtschaftlichen Ertrags erforderlich (>MSY).
Ökosystemische Überfischung - Veränderungen in der Artenzusammensetzung und den Beziehungen im Ökosystem führen zu Verringerung der (für den Menschen nutzbaren) Ressourcen zugunsten von Arten, die keine Ressourcen sind.
Malthusische Überfischung – zu viele Fischer jagen zu wenig Fische (z. B. aus Mangel alternativer Lebensgrundlagen).
In ihrem letzten zweijährlichen Bericht über den Stand der Weltfischerei und Aquakultur 2020 zeigt die FAO die allgemeine Entwicklung der Meeresfischbestände auf, von denen die große Mehrheit entweder zusammengebrochen oder vollständig ausgebeutet ist. Nur sehr wenige gelten als unzureichend befischt.
Angesichts großer globaler Überkapazitäten in der Fischerei führt die Unfähigkeit, ungenutzte Ressourcen zu nutzen, zu einem oft aggressiven Wettbewerb und fragwürdigen, sogar illegalen Praktiken.
Froese und Co-Autoren (2018) kamen zu dem Schluss, dass in europäischen Gewässern mindestens 40 % von 357 analysierten Beständen zu stark befischt wurden und eine so geringe Anzahl erwachsener Fische und wirbelloser Tiere aufwiesen, dass sie den von der reformierten europäischen Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) geforderten höchstmöglichen Dauerertrag (MSY) nicht erzielen konnten.
Die Überkapazitäten und die Überfischung sind größtenteils auf schädliche öffentliche Subventionen zurückzuführen, die von Sumaila und Co-Autoren (2019) auf weltweit 22,2 Milliarden USD geschätzt werden. China, die Europäische Union, die USA, die Republik Korea und Japan steuern 58 % dieser Subventionen bei. Rund 85 % gehen an Industrieunternehmen, Hafenentwicklung, Treibstoff für Fernflotten und andere kapazitätssteigernde Maßnahmen.
Paradoxerweise übersteigen die von der deutschen Regierung gezahlten Subventionen den Wert der Fänge, wie aus dem Meeresatlas der Böll-Stiftung hervorgeht. Insgesamt hat Spanien in der Europäischen Union die meisten schädlichen Subventionen ausgezahlt, während für nützliche Subventionen (Forschung, Management, Sicherheit auf See) nur sehr wenig bereitgestellt wird.
Zu den größten Opfern gehören die in die Ökosysteme eingebettete biologische Vielfalt der Meere und die Männer und Frauen in der handwerklichen Fischerei, die immer noch ein Viertel der weltweiten Fangmengen ausmachen. Die meisten davon sind hochwertige Produkte für den menschlichen Verzehr. Ihre Lebensgrundlage wird jedoch durch den Betrieb der industriellen Flotten gefährdet. Diese verursachen in der Regel hohe Umweltbelastungen, sei es durch hohen Beifang, die Zerstörung von Lebensräumen, hohe CO2-Emissionen oder eine Kombination dieser Faktoren.
Die subventionsgeförderte Überfischung hat jedoch noch viel schädlichere Auswirkungen, da sie häufig mit zweifelhaften oder schlichtweg kriminellen Praktiken wie Betrug, Korruption, Drogen- und Waffenhandel, Arbeitsmissbrauch und Menschenhandel einhergeht. Diese Praktiken, die häufig auch in Verbindung mit der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (IUU) durch Industrieschiffe genannt werden, schaden den Entwicklungsländern besonders, da sie in der Regel unter einer unzureichenden Überwachung und Kontrolle ihrer exklusiven Wirtschaftszonen (AWZ) und einer mangelhaften Rechtsdurchsetzung leiden. Diese wenigen Punkte verdeutlichen das Ausmaß der Gefährdung mehrerer SGDs durch Überfischung.
Die SDGs setzen konkrete Ziele, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Eine zentrale Forderung war, dass die Welthandelsorganisation (WTO) schädliche Fischereisubventionen bis Ende 2020 abschafft - eine Forderung, die seit 20 Jahren auf der WTO-Agenda steht. Diese Frist wurde zwar nicht eingehalten, aber ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, zu dem auch Mundus maris gehört, übt unermüdlich Druck auf die an den Verhandlungen beteiligten Staaten aus, damit sie diese Forderung durch neue Beschlüsse in der WTO erfüllen. Die Argumente, die dafür sprechen, sind überwältigend: gleiche Wettbewerbsbedingungen, Rückgewinnung von Ressourcen, verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Mitteln und soziale Gerechtigkeit, um nur die offensichtlichsten zu nennen.
Eine große Zahl von Wissenschaftlern hat die WTO aufgefordert, endlich die überfällige Einigung zu erzielen. Und nach der Veröffentlichung in der renommierten Zeitschrift 'Science' schließen sich weitere an.
Diejenigen, die in ihrem Alltag eher zu praktischen Maßnahmen neigen, können seit Oktober eine von Mundus maris geförderte App nutzen. FishBase Guide zeigt die wichtigsten Nachhaltigkeitsindikatoren für jeden Fisch, dessen Namen in einer im jeweiligen Land gebräuchlichen Sprache bekannt ist. Sie geben den Namen und das Land in die App FishBase Guide ein und erhalten ein Bild des Fisches, seine verschiedenen gebräuchlichen Namen, den gültigen wissenschaftlichen Namen und die Länge, bei der er die Geschlechtsreife erreicht hat. Weiter ist die optimale Länge erfaßt. Das ist die Körperlänge, bei der der Fang im Laufe der Zeit am größten ist. Die aufgezeichnete maximale Körperlänge wird die Benutzer oft überraschen, da die meisten Fische auf dem Markt eher klein sind oder vielleicht nur als Filets oder sogar Fischstäbchen in Supermärkten angeboten werden.
Wie in der Abbildung rechts bietet die App auch eine Darstellung der Anfälligkeit der Art für Überfischung und ähnliche Arten von Bedrohungen. Hinweise auf die Laichzeit, während der die Arten nicht gefangen werden sollten, ein grober Hinweis auf ihre geografische Verbreitung und ein Link zur Übersichtsseite der Arten in FishBase, für alle, die mehr wissen möchten, runden das Angebot ab.
Die App ist vielseitiger als die sog. Fischlineale, die z. B. von verschiedenen Forschungsprojekten und auch von Mundus maris für einige wenige Länder oder Regionen entwickelt wurden, wie z. B. Südperu, Senegal und Gambia, Griechenland oder die Nord- und Ostsee. Sie können die Informationen für eine große Anzahl von Arten überall auf der Welt abrufen.
Die gute Nachricht ist, dass die Rechtsvorschriften in Europa die Überfischung verbieten, Meeres- und Küstenschutzzonen ausweisen und verantwortungsvolle Praktiken fördern, indem sie Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung eröffnen, z. B. durch die Bereitstellung eines Taschenführers mit Mindestkennzeichnungsvorschriften für Transparenz und potenzielle Rechenschaftspflicht. Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass die Durchsetzung der Regeln durch Politiker und zuständige Behörden eher schwach ist und Schutzgebiete keinen Schutz bieten.
Daher ergreifen nicht nur Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Meeres- und Artenschutz einsetzen, sondern auch die handwerkliche Fischerei Initiative zum Schutz lebenswichtiger Gebiete, um zur Wiederherstellung eines gesunden Ozeans beizutragen und die Zukunft ihres Berufs zu sichern. Ein solches Beispiel ist die Casa dei Pesci (Haus der Fische), ein Unterwassermuseum, das mit versenkten Marmorskulpturen vor Talamone an der toskanischen Küste in Italien eingerichtet wurde. Dort verhindern Paolo Fanciulli und seine Unterstützer dank der Skulpturen und anderer versenkter Hindernisse die illegale zerstörerische Grundschleppnetzfischerei. Ihr langjähriger Kampf zeigt erste Erfolge in Form von größeren Fischen, gesunden Posidonia-Seegraswiesen und zurückkehrenden Delfinen und Schildkröten. Es ist ein ermutigendes Zeichen dafür, was möglich ist, wenn gute Wissenschaft, Engagement der Kunst und Nachhaltigkeitskriterien mit starker Unterstützung der Bürger in die Praxis umgesetzt werden.
In SDG 17 wird die Notwendigkeit von Partnerschaften und Zusammenarbeit auf allen Ebenen, von der lokalen bis zur globalen, anerkannt. Wir alle können davon profitieren.
(1) Pauly, D., 1988. Some definitions of overfishing relevant to coastal zone management in Southeast Asia. Tropical Coastal Area Management, 3(1):14-15.
Übersetzung von Claudia Mense.