Welche Art von Entwicklung wollen wir für die heutige Welt? Das war die zentrale Frage für die fast 400 Teilnehmer aus 35 Ländern während der alle zwei Jahre stattfindenden Schwedischen Konferenz der Entwicklungsforschungs (DevRes), die am 22. und 23. August in Göteborg stattfand. Mundus maris hat zu einer Sondersitzung unter der Schirmherrschaft des Europäischen Verbands für Entwicklungsforschung und Bildungsinstitute beigetragen, um zu gewährleisten, dass die Perspektiven der Menschen vor Ort - überall - Gehör finden und gemeinsames Lernen stattfinden kann.
Die Konferenz begann mit einer Grundsatzrede von Alissa Trotz, Professorin für Karibische Studien und Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Toronto, Kanada. Sie sprach über die sich verändernde Rolle der Diaspora von Bürgern aus Entwicklungsländer. Sie warnte davor, die gegenwärtige Fülle an Geldsendungen und Opfern der Migranten als hauptsächliche Lösung für die „Unterentwicklung“ ihrer Ursprungsländer zu sehen. Während Geldsendungen unzweifelhaft eine bedeutende Rolle bei der Armutsminderung der Familien spielen, könnten Versuche, diese Geldflüsse durch bürokratische Hindernisse zu Gunsten von kurzfristigen marktbasierenden Lösungen zu kanalisieren, leicht ihre Effektivität in Bezug auf mehr Wahlmöglichkeiten der Bürger reduzieren.
Der Verlust einer Mehrheit der Bürger, die eine höhere Schulbildung haben - bis zu 93% in Ländern wie Guyana – passt nicht recht zum neuen Ideal der „Umverteilung von Wissen“ und hilft überhaupt nicht, den Nettokapitalabfluss aus früheren Kolonien zu stoppen. Dieser wird aktuell auf 2 Trillionen USD geschätzt, trotz der 1.3 Trillionen USD an Hilfe, alle Quellen zusammengenommen. Ohne nur die negativen Seiten aufzeigen zu wollen, lud Alissa zu einem kritischen Überdenken ein den Handel und die finanziellen und institutionellen Beziehungen betreffend. Sie zeigte auch auf, dass die Gespräche über Migranten und die Diaspora nur sehr schwache Bezüge zu der Besorgnis über den Klimawandel hatten und dass viele Vorgehensweisen in Wirklichkeit die Klimaeffekte verschlimmerten anstatt zu helfen, sie zu verringern oder sich daran anzupassen.
Den zweiten Hauptvortrag hielt David Simon vom Mistra Urban Future Zentrum an der Universität Chalmes in Göteborg und Professor für Entwicklungsgeographie am Royal Holloway / University of London. Er sprach darüber, wie sich die Wahrnehmung von Entwicklung mit der Zeit verändert hat und konfrontierte die Theorie mit der Praxis der Entwicklungsforschung zu einer Zeit, in der Zeitgeist durch eine weitverbreitete Unsicherheit, Besorgnis und Furcht charakterisiert ist.
Er argumentierte, dass unser Verständnis der Welt (Kosmos) bestimmt, wie wir unsere Wahrnehmungen über das Versagen oder den Verrat des „Entwicklungssystems“ erfassen und wie die Vordenker/Macher die Enttäuschung zum Ausdruck bringen:
- Wohlstand ist für die Wenigen (Goldman Sachs – globaler Handel)
- Der öffentlche Sektor und die Staaten verlieren ihre Fähigkeit, die Lebensbedingungen ihrer Bürger zu bestimmen - Machtlosigkeit (Geoffrey Sachs – sie meinen es gut, sind aber nicht geeignet für die Aufgabe)
- Wissenschaftler verkünden den „Tod der Modernität“ (Wolfgang Sachs – ignorierte Kritiken).
David sprach sich für einen konzeptionellen Pluralismus aus, der es anerkennt, dass Leute kollektiv lernen und eine Art von sozialem Wissen entwickeln. Er unterstrich die Notwendigkeit, ein neues Gleichgewicht zwischen Personen als Individuen und als Teil eines größeren sozialen, ökonomischen und Umwelt-Zusammenhangs zu finden. Dazu muss die Forschung neue Methodologien entwickeln, die transdisziplinär sind, alle einschließen und eine Koproduktion von Wissen durch Formen der Mitwirkung verschiedener Akteure erlauben. Wie können wir transdisziplinäre Forschung praktisch umsetzen? Dadurch, dass wir gemeinsam die Forschungsfragen definieren und dann die notwendigen Untersuchungen bestimmen und entwickeln und das so erzeugte Wissen umsetzen.
Eine der wichtigsten Herausforderungen in diesem Zusammenhang ist es, langfristige Planungs- und Ausführungsprozesse zu erreichen, die nicht an kurzfristige Wahl- und Finanzierungszyklen gebunden sind. Entscheidendes Engagement über längere Zeit hat jedoch einige Resultate gezeugt, trotz aller Schwierigkeiten. Denkt an jüngere Entscheidungen von großen Firmen, keine Plastikbecher mehr zu benutzen, um die Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Das gibt Hoffnung, dass Wertschöpfungsketten neu überdacht werden - hin zu fairen und hoffentlich nachhaltigen Modellen.
Die Bereitstellung des Vortrags wird in Kürze auf YouTube erfolgen.
Schlaglichter auf die integrierte Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele
Måns Nilsson vom Stockholm Environment Institute (SEI) präsentierte einige methodologische Versuche, die Notwendigkeit für integrales Planen anzugehen, die durch die Einführung der Agenda 2030 für die Nachhaltigen Entwicklungsziele erforderlich geworden sind. Während er zeigte, wie die verschiedenen Nachhaltigkeitsziele zusammenhängen und das mit einigen Indikatoren beschrieb, mahnte Måns, sich darüber im Klaren zu bleiben, dass viele Beurteilungen für den jedweiligen Kontext spezifisch sind und dass man mit Allgemeinplätzen vorsichtig sein sollte. Er gab auch zu, dass die schwedische Regierung zwar dieser Untersuchungen sehr gewahr, aber nicht willig ist, sich darauf einzulassen. Die Forscher hatten eine solche Abgeneigung auch in anderen Ländern gefunden, die Kontrolle selbst über kleinere Aufgabenbereiche zu Gunsten einer integrierten Entscheidungsfindung abzugeben.
Prajal Pradham vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zeigte verschiedene Konzepte auf, die der Vorgehenswahl unterliegen. Er konfrontierte Formen von nachhaltigen Wirtschaftslehren innerhalb der Grenzen des Planeten mit etwas, das er „Micky Mouse Wirtschaftslehren“ nannte, wo alles dem kurzfristigen Profit unterworfen ist. Er führte dann das Publikum durch integrierte Analysen der Nachhaltigkeitsziele, basierend auf UN Indikatoren aus den Datensätzen von 2016 und untersuchte, wie man den Zirkelschluss aus schlechten Kompromissen zwischen einigen Zielen brechen oder wenigstens neutralisieren könnte. Ideal wäre sogar Synergien herauszuarbeiten. Die UN Datensätze umfassen bisher nicht die Nachhaltigkeitsziele 14 und 16, da das Leben unter Wasser nicht in den früheren Millenium Entwicklungszielen erfasst wurde. Das Team ist aber bereit, sich dieses Thema anzusehen, besonders wegen der Bedeutung des Ozeans für das Klima, die Ökonomie und das Leben auf der Erde im Allgemeinen.
Die Ko-production von Wissen bleibt eine Herausforderung
Wir lieferten unseren Beitrag im EADI Panel „Das Überdenken der Rolle des lokalen Kontextes und die Zusammenarbeit in übergreifender Forschungsentwicklung“ unter der Leitung der SEI Kollegen.
Wir konzentrierten uns im Vortrag von Aliou Sall und Cornelia E Nauen, von letzterer vorgetragen, auf die sich aus gemeinsamer Wissenserzeugung ergebenden Möglichkeiten und Herausforderungen. Dazu sind in Kürze Tests zum Aufbau einer Akademie der Kleinfischerei im Senagal, Westafrika, geplant.
Wir beleuchteten kurz den Kontext der Kleinfischereien, die sich massiv ausgeweitet haben, aber durch illegale Operationen von internationalen industriellen Flotten unter Druck stehen. Die Fisch verarbeitenden und vermarktenden Frauen sind vor allem betroffen, da sie nicht wirksam mit den reichen Investoren wetteifern können.
Darüberhinaus ist die stillschweigende Koordination zwischen der Fischereiverwaltung und den traditionellen Führern zusammengebrochen, da neue Institutionen, die unter einer reformierten Sektorpolitik mit Hilfe eines regionalen Weltbankprojekts eingeführt wurden, in vorher existierende soziale Regulationsmechanismen eingreifen.
Außerdem schädigen die Kleinfischereien und die traditionelle Verarbeitung durch Räuchern und Trocknen auch die Umwelt, wenn sie größere Ausmaße annehmen und z. B. zur Entwaldung beitragen.
In diesem Zusammenhang ist die von Mundus maris in Zusammenarbeit mit INNODEV von der Universität von Cheikh Anta Diop in Dakar und professionellen Organisationen der Kleinfischer wie CNPS, FENAGIE und andere gestartete Akademie der Kleinfischerei ein Versuch, solche Funktionsstörungen durch einen agora-ähnlichen sicheren Raum für gemeinsames Studieren und Lernen zu überwinden. Im Oktober 2018 soll mit den geplanten Tests begonnen werden. Hier klicken für die Folien des Vortrags. Wir danken den SitzungsteilnehmerInnen für wertvolle Fragen und Kommentare.
Die Konferenz wurde von der Universität Göteborg in Zusammenarbeit mit der Schwedischen Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (SIDA) und dem Schwedischen Forschungsrat organisiert. Hier klicken für mehr Information.
Text und Fotos von Cornelia E. Nauen
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