von Cornelia E Nauen
Dieses Jahr feierte die Deutsche Gesellschaft für Meeresforschung (DGM) ihren 35. Geburtstag mit einer ganzen Woche Aktivitäten und Veranstaltungen an der Universität Bremen. Das Motto war "Grenzen des Wissens und Handelns".
Die Authorin ist ein langjähriges Mitglied der DGM. Die jüngste Forschung zu verfolgen, inkl. der anderer DGM Mitglieder, ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit von Mundus maris, der darauf abzielt, Forschung und ihre Ergebnisse für Nichtspezialisten leichter zugänglich zu machen und sich kritisch mit der breiten Öffentlichkeit auseinanderzusetzen und zu engagieren.
Die interessanten Impulsvorträge und interaktiven Workshops machten den Erfolg des Meeresforums aus, das am 15. und 16. September stattfand. Die Bremer Bürgermeisterin, Karoline Linnert, empfing die Teilnehmer am Ende des ersten Tages im historischen Rathaus, wo die langjährigen DGM Mitglieder geehrt wurden.
Eine Bootsfahrt auf der Weser zum Abschluss des letzten Tages liess das Meeresforum gesellig ausklingen und diente gleichzeitig als "ice-breaker" zur Eröffnung der 6. YOUMARES Netzwerk Konferenz junger Meereswissenschaftler. Es war eine anregende Gelegenheit, junge und erfahrenere Wissenschaftler locker miteinander in Kontakt zu bringen. Die folgenden zwei Tage, der 17. und 18. September waren mit Vorträgen der Ergebnisse junger Meeresforscher und ihrem netzwerkeln voll belegt. Teilnehmer kamen aus 20 Ländern.
Zwei Impulsvorträge am ersten Tag zeigten die Erwartungegn an Meeresforschungs aus der Perspective wichtiger interessierter Gruppen: gewählte politische Vertreter im Parlament und die Zivilgesellschaft. Beide unterstrichen ihren Bedarf an wissenschaftlicher Forschung und ihren belastbaren Ergebnissen, vor allem auch die Kapazität, Ergebnisse im Zusammenhang zu interpretieren und sich kritisch damit auseinanderzusetzen.
Gesine Meißner, Mitglied des Europaparlaments und Vorsitzende der Intergroup "Meere, Flüsse, Inseln und Küstengebiete", sprach engagiert darüber wie die komplexe Politikarbeit auf dem europäischen Niveau die Meeresforschung mehr nutzen kann und sollte. Die ca 90 Mitglieder ihrer Intergroup aus fast allen Nationalitäten und Fraktionen außer der extremen Rechten, waren besonders interessiert an nachhaltiger Nutzung der Meere als Quelle dauerhafter Wertbildung und Wohlbefinden.
Die Intergroup arbeitet besonders eng mit den Ausschüssen Transport und Tourismus und Industrie, Forschung und Energie zusammen.
Gesine Meißner selbst ist auch Stellvertreterin im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Ein Hauptanliegen der Intergroup ist es, die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie besser bekannt zu machen und umzusetzen. Mitte 2008 trat sie in Kraft und sollte bis 2010 in die nationale Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten eingegliedert werden, ist aber immer noch nicht gut im Bewußtsein der Öffentlichkeit und der Praxis verankert.
Die Meeres-Richtlinie zielt auf die Erreichung eines guten Umweltzustands (GUZ) für die europäischen Meeresgewässer bis 2020 ab. Sie dient dem Schutz der Resourcen, von denen wirtschaftliche und soziale Aktivitäten rund ums Meer abhängen.
Es ist das erste gesetzgeberische EU Instrument zum Schutz der Biodiversität im Meer, da es ein ausdrückliches Regulationsziel enthält, nämlich die biologische Vielfalt der Meere zu erhalten und dazu auch Schutzzonen auszuweisen, wie es den internationalen Verpflichtungen im Rahmen des Biodiversitätsabkommens entspricht. Das sind wichtige Eckwerte zur Erreichung des GUZ.
Die Intergroup ist stark an einfacherem Zugang zu wissenschaftlich belegten Informationen interessiert, die den Mitgliedern bei der parlamentarischen Arbeit helfen und auch als Anreiz dienen können, die Investitionen in die Meeresforschung zu stärken.
Alfred Schumm, World Wildlife Fund for Nature - WWF, attackierte das Scheitern der globalen und regionalen Fischereibewirtschaftungssteme, die zu hoher Toleranzgrenze für illegales, nicht registriertes und unreguliertes Fischeng führten.
Die WWF Initiative "Smart Fishing" will nicht die mangelnde staatliche Überwachung ersetzen sondern Anreize für Firmen schaffen, sich beim Fang und der Vermarktung an die Regeln zu halten.
Das Automatische Informationssystem (AIS) hat der WWF zusammen mit einem Technologiepartner entwickelt. Es benutzt existierende Schiff-Tracker-Systeme, um die Routen und das Verhalten von Fischereischiffen zu verfolgen.
WWF ist sich darüber klar, dass intelligente Fischerei auf nachhaltiger Basis Handeln auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig erfordert. Transparenz, wissenschaftliche Daten und ihre Interpretation, verbindliche Regeln für alle und effektive Einhaltung dieser Regeln.
In der derzeitigen Phase der Initiative liegt das Hauptaugenmerk auf Transparenz und hat damit schon einige Anfangserfolge erzielt.
Die zwei interaktiven Workshops am Nachmittag produzierten interessante kollektive Einsichten in die Zukunft der Meeresforschung in Bezug auf einige der momentanen Herausforderungen.
Jeder workshop verlief in drei Phasen, zuerst eine Ideensammlung und Konzepte, die nicht von unmittelbaren Machbarkeitsüberlegungen einigeschränkt waren, dann eine Analyse der Hindernisse auf dem Weg der Verwirklichung und schließlich die gemeinsame Definition gangbarer Schritte.
Während des Festakts zum 35. Jahrestag der DGM im historischen Rathaus von Bremen wurden auch langjährige Mitglieder geehrt, von denen einige von ganz zu Beginn mit dabei gewesen waren. Als kollektive Anerkennung machte die DGM eine Spende für eine Initiative zu gesundem Trinkwasser, die bundesweit Bäume pflanzt. Eine moderne Geschichtenerzählerin nahm die Anwesenden mit in die Mythenwelt der Inuit. Gemeinsam mit der Flötenmusikeinrahmung schuf die Veranstaltung die besondere Atmosphäre, die dem Jahrestag und zugleich dem Ausblick auf die Zukunft angemessen war.
DGM Mitglied Carsten Eden der Universität Hamburg ist der Gewinner des Wüst Preises 2015.
Sein Vortrag entwickelte, was Klimamodelle momentan können und was nicht.
Er zeigte die begrenzte Auflösung der Modelle auf, die den Ozean in so große Zellen unterteilen, dass diese das hydrodynamische Verhalten der Wassermassen nicht realistisch darstellen können.
Hinzu kommt, das schwere Wellen, die aus Energiekaskaden aus den Gezeiten entstehen nur unzureichend in die meisten Modelle integriert sind.
Seine Gruppe arbeitet daran, diese Ozeanparameter realistischer abzubilden und dadurch zur weiteren Verbesserung der Klimamodelle beizutragen.
Zum Glück verändern sich viele Ozeanparameter nur sehr langsam, so dass die typischen Annahmen in den Modellen, die momentan wegen begrenzter Rechnerkapazitäten notwendig sind, dennoch sinnvolle Interpretationen ermöglichen. Das wurde in der anschließenden Diskussion heraus. Es gab Konsens darüber, dass die Verbesserung der Klimamodelle zu immer realistischerer Abbildung der Gegebenheiten eine anhaltende Herausforderung bleibt.
Victor Smetacek, em. Professor. des Alfred Wegener Instituts - Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, hat mehrere einflußreiche Artikel in Nature publiziert und schafft es immer, die einzelnen Forschungsfragen in das große Panorama der evolutionären Trends und Darwinistischer Interpretationen einzubetten.
Er forderte die Zuhörer mit seinem Impulsvortrag unter dem Titel heraus "Ungelöste Fragen und künftige Aufgaben der Meereskunde: Kann die Meeresforschung noch große Erkenntnisse erwarten, wenn sie weiter betrieben wird wie bisher?"
Er begann mit einer Übersicht menschlicher Wahrnehmungen, die vom Vestibularsystem gesteuert werden. Letzteres trägt zum Gleichgewichtssinn und räumlicher Orientierung bei. Das Vestibularsystem sendet Signale zu den Augen und Muskeln, damit wir uns aufrecht halten. Es hilft uns beim Verstehen der Welt. Die Selbstwahrnehmung geht damit einher. Sie ist bereits in einzelligen Organismen vorhanden. Sie macht die Intelligenz des Octopus aus, die für uns so faszinierend ist. Dazu braucht es kein Gehirn. Die Wahrnehmung geschieht mit dem gesamten Körper, nicht nur mit den spezialisierten Sinnesorganen oder dem Gehirn. Daher die Frage, wie hat sich das Leben über die Jahrmillionen entwickelt, in denen es auf der Erde existierte?
Wir verstehen die Evolution der Lebensformen, zB wie sich Bäume unter den Bedingungen der Erdanziehung (Schwerkraft) entwickeln. Aber wir verstehen nicht, wie sich die Planktonlebewesen im Ozean entwickelt haben.
Warum gibt so viele bizarre Formen und wie sind sie entstanden? Seine Hypothese steht im Gegensatz zu gängigen Annahmen der Evolution angetrieben von Konkurrenz. Victor Smetacek schlägt vor, folgendes Konzept zu testen: Die Form ist ein Signal an potentielle Räuber und andere Planktonfresser. Die Form wird durch Körpergefühl (Propriozeption) wahrgenommen, das Äquivalent der Farbe und des Umrisses für visuelle Räuber.
Wir erwarten dann auch Mimikry, interprätiert als Konvergenz von Gestalt, die Erhaltung der Form als Erklärung dafür, dass wir so viele kryptische Arten beobachten.
Im letzten Teil des Impulsvortrags untersuchte er die Optionen von Geo-Engineering, um die Folgen des Klimawandels in einem Rahmen zu halten, der mit unserer Zivilisation kompatibel ist. Er sprach sich vehement für begrenzte Experimente aus, um die Machbarkeit zu prüfen. Hier klicken, um die ppt Präsentation zu sehen.
Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung steuerte den letzten Impulsvortrag bei zum Thema "Physikalische Kipppunkte - die großen Unbekannten?"
Die Graphik unten illustriert die beiden unterschiedlichen Typen von Kipppunkten. Auf der linken Seite ist der Fall von Meereseis gezeigt, auf der rechten die Situation in Grönland. Man sieht, dass der genaue Punkt schwer zu bestimmen ist.
Im Fall von Grönland mit Inlandgletschern eine Höhe von mehr als 3000 m über dem Meeresspiegel wird die Abschmelze ab einem bestimmten Niveau irreversibel weil die Schmelze umso schneller und unausweichlicher wird, je wärmerer Luft die immer niedrigeren Gletscher ausgesetzt sind, bis der Prozess von selbst fortschreitet.
Bei der Masse der Eisbedeckung Grönlands, wird dieser Prozess eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Momentan wissen wir nicht, wie nahe wir dem Kipppunkt sind oder ob wir ihn vielleicht schon überschritten haben.
Falls das ganze Eis auf Grönland schmölze - vielleicht über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren - würde es den Meeresspiegel um ca. 7 Meter anheben.
Was den Westantarktischen Eisschild angeht, sind sich die Wissenschaftler sicher, dass es bestimmter Kipppunkt überschritten ist. Das Eis war durch Bodenberührung auf einem Landrücken und damit einhergehende Reibung fixiert worden.
In dem Maß, wie die Gletscher abschmolzen haben sie sich von dem Landrücken befreit. Relativ warmes Wasser kann nun von unten in den Spalt zwischen Meeresboden und Eis eindringen und das Abschmelzen von unten beschleunigen.
Die Totalschmelze des Westantarktischen Eisschilds wird mit ca. 3 Meter Anstieg des Meeresspiegels zu Buche schlagen.
Dank der inspirierenden Impulsvorträge gab es keinen Mangel an Denkanstößen für weitere Gespräche und Austausch unter allen Teilnehmern.
Die „bar camps" am Nachmittag boten weitere Vertiefungsmöglichkeiten rund um Themen, die Teilnehmer vorgeschlagen hatten, um von den vielseitigen Kompetenzen anderer zu profitieren. Die Protagonisten jedes „bar camps" gaben im Plenum eine Zusammenfassung der Diskussion und machten so allen die wesentlichen Punkte zugänglich.
Zum Ende des Forums drückte ein Teilnehmer im Namen aller den Dank an den DGM Vorstand aus, denn das interaktive und partizipative Format des Forums war allgemein hervorragend angekommen.
Mehr Informationen von der DGM, gibt es hier.
Zum Ausklang des Tages trafen erfahrenere DGM Mitglieder mit Teilnehmern der YOUMARES 6.0 Netzwerkkonferenz zusammen. Die Ausfahrt auf der MS Hanseat diente als „Eisbrecher" der anschließenden 2-Tages Konferenz des Nachwuchses. Gleichzeitig bot sie eine ausgezeichnete Gelegenheit zu generations- und fachübergreifenden Gesprächen in entspannter Atmosphäre. Einige der älteren Wissenschaftler in der DGM, die sich als potentielle Mentoren angeboten hatten, waren mit von der Partie, um bei Bedarf ihren Beitrag zur bestmöglichen Förderung der Karrieren ihrer jungen Kollegen zu leisten.
Die nächsten zwei Tage waren vom Organisationsteam der jungen Meeresforscher (YouMaRes) vollständig selbstorganisiert. Etwa 150 registrierte Teilnehmer aus 20 Ländern bevölkerten die Parallelveranstaltungen, in denen die Veranstalter jeweils zwischen drei und fünf Vortragende vorstellten.
Die Sessionen waren rund um folgende Themen strukturiert:
- Plastikverschmutzung im Wasser
- Genetik im Dienst von Nachhaltigkeit
- Zephalopoden und Gesellschaft
- Herausforderungen und innovative Lösungen zum Monitoring der Umweltverschmutzung
- Marine sozial-ökologische Systeme.
Etwa 20 Poster fassten Forschungsergebnisse bildlich zusammen und bemühten sich um den Preis für die beste Darstellung. Sie waren überwiegend von Forscherteams erstellt und lagen damit im generellen Trend zu mehr Gruppenarbeit in der Forschung.
Workshops am Nachmittag hatten Angebote für verschiedene Interessen, zB den Besuch des Medien- und Forschungsschiffs ALDEBARAN, Tipps zur wissenschaftlichen Veröffentlichung und Institutsbesichtigungen.
Wenige Vorträge befassten sich mit der globalen Krise der Fischerei.
Aber die Session zu sozial-ökologischen Systemen, die darauf abzielte, das Verständnis und die Praxis interdisziplinärer Herangehensweisen voranzutreiben, lag ausgesprochen im Trend. Zeitgleich zur Konferenz widmete die führende wissenschaftliche Zeitschrift Nature mehrere Artikel in einer Sonderausgabe genau dieser Herausforderung.
Die Sessionen des zweiten Tages gruppierten die Vorträge um die folgenden Themen:
- Neuere Entwicklungen in der landgestützten Aquakultur
- Invasive Arten
- ScienceTainment
- Fernerkundung
- Korallenriff.
Ein umfassende Konferenzbuch war für alle elektronisch verfügbar. In der besten Tradition früherer Konferenzen klang die Veranstaltung mit einer Party aus, um den Teilnehmern von nah und fern eine gute Heimreise zu wünschen.
Herzlichen Glückwunsch besonders dem Organisationsteam und allen Teilnehmern zu einer weiteren erfolgreichen Netzwerkkonferenz!
Alle Photos oben sind von der Authorin. Das Gruppenphoto wurde freundlicherweise von YOUMARES-DGM zur Verfügung gestellt.