Frederico Füllgraf, Santiago de Chile, für Mundus maris
Vom 5. bis 6. Oktober 2015 fand in Valparaíso, Chile, die II Konferenz „Our Ocean - Nuestro Océano” statt.
Als Initiative des US-State Department, war ihr im Juni 2014 die erste Ausgabe von Our Ocean in Washington D.C. Vorausgegangen. John Kerrys High-level Initiative brachte Politiker und Experten auf den Gebieten des Seerechts, der Fischerei, Meeresökologie und des Meeresschutzes mit vereinzelten NGOs und Gemeindevertretern aus 90 Ländern zusammen, um Erfahrungen und Empfehlungen mit dem Ziel gemeinsamen Handelns austauschten. Die große Sorge über Ozeanversauerung, Überfischung und Meeresverschmutzung waren thematische Schwerpunkte, die zu Aktionen führen sollen. Es hat sich u.a. herum gesprochen: Die gigantische Ansammlung von treibendem Müll im Pazifik, der „achte Kontinent”, hat mittlerweile eine Ausdehnungsfläche von der Größe Mitteleuropas. Es sollte keine weitere Konferenz für Sonntagsreden sein, sondern ein Treffen, wo Partner sich öffentlich verpflichten, konkrete Abhilfe zu schaffen.
Diese Bemühungen gipfelten in der Unterzeichnung von Partnerschaften und die Bereitstellung von US $ 800 Millionen aus verschiedenen Quellen für die Finanzierung von Meeres- und Küstenschutzprojekten. Es sollen u.a. 4 Millionen km2 Meeresgewässern geschützt werden - ein guter Schritt in Richtung der 32 Millionen km2, die das Aichi Ziel No. 11 des Biodiversitätsabkommens vorgibt. Viele weitere neue Meeresschutzgebieten (MPAs) sind erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen und 10% der Ozeane der Welt bis zum Jahr 2020 effektiv zu schützen. Das Ziel wurde 2010 von der Konferenz der Vertragsparteien (COP 10) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt vereinbart (CBD). Angesichts schlechter bisherigen Fortschritte und der vielen Schutzzonen, die nur auf dem Papier existieren, ist nach Meinung verschiedener Experten ein vorsichtiger Umgang mit den neuen Verpflichtungen empfehlenswert.
Auf der Konferenz von 2014, interpretierte John Kerry die ausgehandelten freiwilligen Vereinbarungen als Plattform einer „globalen Meerespolitik". Sie sollte auf mittlere Sicht zu einer "Global Governance" unter US-Schirmherrschaft mutieren. Vorsicht scheint auch hier angebracht, da die Vereinbarungen und Beschlüsse weder nach nationalem Recht, noch völkerrechtlich verbindlich. Das Meer braucht dringend Schutz, daher muss man bei dieser Initiative genau hingucken.
Chile hatte es eilig
Weshalb Chile sich anbot, die Folgekonferenz zu veranstalten, begründete Außenminister und Schirmherr von Our Ocean II, Heraldo Muñoz, mit Hinweis auf die 6.000 km chilenischer Küste, davon 4.000 km am Festland. Sein Land sei vom Klimawandel, der illegalen Fischerei und der Meeresverschmutzung alarmiert.
Politische Beobachter anerkennen die chilenischen Sorgen. Sie glauben aber, dass die Rolle des Landes als Gastgeber für die zweite Konferenz viel mit regionaler Dynamik zu tun hat, insbesondere im Hinblick auf die jüngsten territorialen und Meeres-Streitigkeiten mit seinen Nachbarn Peru und Bolivien. Bolivien war erfolgreich mit seinen im Jahr 2013 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorgebrachten Forderungen. Sein Argument, es benötige einen eigenstaatlichen Zugang zum Meer, den es an Chile nach dem Salpeter-Krieg (1879 -1883) verloren hatte.
Verblüffend wirkte überdies die Bekanntmachung von Minister Muñoz, dass in paralleler Handlung im fernen Atlanta, am 5. Oktober, Chiles Unterhändler nach sechsjähriger Verhandlung mit elf Pazifik-Anrainertaaten, angeführt von den USA, ein Freihandelsabkommen mit weitreichenden Folgen unterzeichnete. Es ist als Trans-Pazifische Partnerschaft, kurz TPP, bekannt und ergänzend zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) zu verstehen.
Bereits im Dezember 2013 hatten 34 chilenische Abgeordnete und 15 Senatoren den damaligen Staatspräsidenten Sebastián Piñera in einer in der Tageszeitung El Mercurio veröffentlichten 8-Punkte-Erklärung dazu aufgerufen, die seit 2009 laufenden Verhandlungen über das TPP-Abkommen abzubrechen oder ihren Inhalt dem Parlament und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da dem nicht entsprochen wurde, wirft eine Schar sozialer Bewegungen, einzelner Medien und Parlamentarier der jetzigen Mittelinks-Regierung ebenfalls eine „Unterzeichnung hinter dem Rücken der Öffentlichkeit” und die „Aufgabe der nationalen Souveränität” vor.
Die Agenda
Unter diesem Motto der „ozeanischen Weltordnungspolitik” startete also die Konferenz „Our Ocean II” in Chile mit 500 offiziellen Teilnehmern aus 56 Ländern.
In Fortsetzung der 2014 in Washington festgelegten Agenda, bildeten die Themenbereiche Meeresschutzgebiete, Ozeanversauerung und Meeresverschmutzung den thematischen Schwerpunkt. Sie wurden dieses Mal ergänzt durch das strategische Diskussionsforum „Law of the Sea Governance“ (Politisches Seerechts-Kontrollsystem), u.a. mit Beteiligung der deutschen Juristin Gabriele Goettsche, Direktorin der Abteilung für Meeresangelegenheiten und Seerecht (DOALOS) bei den Vereinten Nationen.
Industrielle und illegale Fischerei
In einer lebendigen, pointierten Rede, äußerte sich US-Außenminister John Kerry besorgt wegen des wachsenden internationalen Fischkonsums und den 600 Millionen Menschen, die in der weltweiten Fischerei beschäftigt sind. Sein Appell richtete sich gegen die illegale Fischerei in fremden Hoheitsgewässern.
Kerry warnte besonders vor dem Einsatz von Grundschleppnetzen, die bereits in den 1990er Jahren mit Verbotsanträgen des US-Senats an weiten Küstenteilen der USA belegt wurden.
Der US-Außenminister bekräftigte den seit Jahrzenten von zahlreichen Wissenschenaftlern und tausenden artisanalen Fischern rund um den Globus ausgegebenen Alarm: Zwischen der Hälfte und zwei Drittel der Meeresorganismen in Schleppnetzfängen werden als „Beifang“ bezeichnet und wieder über Bord geworfen, tot oder sterbend. Jedes Jahr werden so bis zu 30 Millionen Tonnen Meereslebewesen auf kriminelle Weise verschwendet. Die übrigen Schäden sind notorisch: Zerstörung von Meersboden, Korallenriffen, Vermehrungs-Biotopen etc. Die Arbeitsgebiete der Bodenschleppnetze sind nach einiger Zeit in eine Schlammwüste verwandelt.
Die ironische Pointe: Während Kerrys Ansprache schaute Chiles Außenminister Muñoz zeitweilig zur Seite. Wie wird er sich wohl gefühlt haben, wo doch in Chile, trotz des seit Jahren von den Kleinfischern geforderten Verbots, weiterhin mit Schleppnetzen gefischt und die Fischerei von nur sieben machtvollen Reedereien beherrscht wird.
In weniger als 20 Jahren wurden die Schwärme des Stöcker (Trachurus murphy) an der Pazifik-Küste Südamerikas um 90 Prozent dezimiert. Wegen Überfischung und Raubbau am chilenisch-peruanischen Küstenstreifen stehen die Anchoveta (Engraulis ringens), die Sardine (Clupea bentincki), der Südpazifische Seehecht (Merluccius gayi gayi) und Rochen auf der Liste überfischter Arten. Im Weltmaßstab ist das Szenario nicht weniger bedrohlich: 90 Prozent aller Fischbestände sind lt FAO vollständig oder gar übermäßig ausgebeutet; fast ein Drittel sind akut gefährdet.
Dabei muss man wissen, dass ein Fünftel der weltweiten Fänge sog. INN-Fänge sind: „illegal, nicht registriert, nicht reguliert“ (IUU - illegal, unreported and unregulated). Der von ihnen angerichtete jährliche Schaden summiert sich auf mehr als 9,0 Mrd. US-Dollar (Department for International Development, London, 2005).
Besonders kriminell ist - wie von der FAO am Beispiel zahlreicher westafrikanischer Länder nachgewiesen - daß der illegale Fischfang den Ärmsten der Armen auch eine Nahrungsgrundlage enzieht. Dieselbe FAO warnte bereits in einer Studie aus dem Jahr 1998, daß die weltweite, industrielle Fischereiflotte „zweieinhalb Mal größer ist als erforderlich“ (Assessing Fishing Capacity of the Eastern Tropical Pacific Fleet of Skipjack Tuna - Ernesto A. Chávez).
Fragen des investigativen Reporters:
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Wie stark ist die Beteiligung der europäischen Trawler an illegalen Fängen an der westafrikanischen Küste? - neben den chinesischen, russischen und Billigflaggenschiffen? Und
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Wie hoch ist vergleichsweise der Schaden der legalen industriellen Grundschleppnetz-Fischerei?
Der EU-Kommissar für Umwelt, Meeresangelegenheiten und Fischerei, Karmenu Vella, gab dazu keine direkte Auskunft. Vella betonte statt dessen, dass der jährliche Umsatz der europäischen Seewirtschaft schwindelerregende 560 Mrd. US-Dollar beträgt. Der europäischen Markt an Seenahrungsprodukten ist der größte der Welt. Ca. 70% des Konsums wird durch Importe gedeckt.
Leider scheiterte im Jahr 2013 der Versuch des Europäische Parlaments ein Verbot von Grundschleppnetzen mit knapper Mehrheit. Insider meinen, eine Änderungen in letzter Minute in Abstimmungsreihenfolge der Gesetzentwürfe im Reformpaket der europäischen Gemeinsamen Fischereipolitik, habe einige Mitglieder des Europäischen Parlaments verwirrt.
Mehrere andere Reformentscheidungen waren auch von Vellas Vorgängerin, Maria Damanaki, auf den Weg gebracht und vom Parlament verabschiedet worden. Darunter ist die neue Regelung, die Überfischung illegal macht. Maria Damanaki hat inzwischen den Posten des Global Managing Director für Ozeane bei The Nature Conservancy angenommen und überwacht die Umsetzung der Reform in den EU-Mitgliedsstaaten.
Am Ende der Konferenz schlossen sich neben Chile, Norwegen, Neuseeland und Palau, auch die FAO und einzelne Organisationen der Zivilgesellschaft John Kerrys Initiative „Sea Scout" an. Sie soll helfen, durch konzertiertes Vorgehen die illegale Fischerei weltweit effektiver zu bekämpfen.
Ähnliche Schritte besprach Karmenu Vella Ende Oktober während eines offiziellen Besuchs in Peking mit Qu Dongyu, Vizeminister für Landwirtschaft, und Wang Hong, Direktor der Seeverwaltung Chinas. Zusammen wollen die EU und die VR China die Governance der regionalen Fischerei-Organisationen durch gemeinsame Bekämpfung der illegalen Fischerei verbessern. Das passt auch gut zur neuen Transparenzinitiative für die Fischerei in Mauretanien, einem immer noch fischreichen Land in Westafrika. Die Initiative wird von deutscher Entwicklungshilfe mitbetreut. Die Chinesen operieren massiv in Mauretanien – teilweise legal aber bisweilen auch illegal. Dies ist ein Charakteristikum vieler globaler, in der Fischerei operierender, Akteure.
Fischer und genuine Gemeindevertreter: Die großen Abwesenden
Die Einberufung, Zusammensetzung und Beschlüsse der Konferenz wurden in Chile von vielen der Hauptbetroffenen, Fischer- und Küsten-Anrainergemeinden, kaum als konsensfähig anerkannt.
Der Osterinsulaner Rafael Tuki Tepano, mit Stimmen seiner Gemeinde auf Rapa Nui gewählter Berater der chilenischen Körperschaft für Indianische Entwicklungsaufgaben (CONADI), forderte Präsidentin Bachelet dazu auf, der chilenische Staat solle „eine interne Abstimmung der Osterinsulaner unterstützen, die ihr Weltbild respektiere und ihre Ressourcen schütze, ohne Rücksicht auf Anliegen ausländischer Mächte.”
Der Veterinärmediziner und Direktor der international anerkannten chilenischen NGO Ecocéanos, Juan Carlos Cárdenas, kommentierte: „In ihrer ersten Etappe ist dies eine von vornherein bis ins Detail abgekartete Konferenz. Es gibt keine Fragen, oder sie werden nicht beantwortet.”
A propos Lachsfarmen: 2010 drehten die Bremer Filmemacher Wilfried Huismann and Arno Schumann die WDR-Reportage „Lachsfieber”, über die Lachsproduktion der norwegischen Firma Marine Harvest und deren katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt in Südchile. Marine Harvest gehört John Fredriksen, genannt der "Der große Wolf", Eigentümer der größten Tankerflotte der Welt. Als Größter auch im Lachsgeschäft, wirft der norwegische Konzern 100 Millionen Lachse pro Jahr auf den Weltmarkt.
Als Sprecher der kleinhandwerklichen Fischer war lediglich die Nationale Konföderation der Artisanalen Fischer Chiles (Conapach) zur Konferenz eingeladen.
Doch Chiles Artesanales sind seit rund zehn Jahren politisch gespalten in die eher Großfischerei-freundliche Conapach und den von der Mehrheit der Fischer-Gewerkschaften gegründete Nationalrat zum Schutz des Fischerei-Erbes (Condepp), der unnachgiebig gegen das seit 2012 in Kraft befindliche Fischereigesetz kämpft, das nach Meinung des Condepp „die chilenische See privatisiert” hat, seit es in Kraft getreten ist.
„Wie ist es möglich, daß eine Konferenz zum Schutz der Weltmeere in Chile stattfindet, dessen Fischerei-Industrie die Meeres-Ressourcen geplündert hat und wir doch ein Gesetz brauchen, das eine authentische, nachhaltige Fischerei begünstigt!” protestierte auf dem Universitätsender Valparaísos, Radio Valentin Letelier, der Geschäftsführer des Artisanalenverbandes "Nuevo Amanecer", Miguel Angel Hernández.
„Illegale Fischerei diskutieren die?” regte sich Pascual Aguilera im Gespräch mit demselben Sender auf. Nach Meinung des Artisanalen-Sprechers aus der nördlichen Region Coquimbo sollten die Konferenzteilnehmer wissen, daß die chilenische Großfischerei-Flotte 7.000 Tonnen Fischmehl verberge, das aus der illegalen Fischerei stammt, nämlich die nicht genehmigte Befischung des längst kollabierten Stöcker Bestands.
Beschlüsse
Die finanzielle und technische Bilanz von „Our Ocean II" übertraf die der Gründungstagung in Washington um nahezu das Dreifache. Mit umgerechnet ca. 1,8 Mrd. Euro – davon 600 Mio. Euro der Europäischen Union zur Förderung nachhaltiger Fischerei – wurden Mittel für 80 neue Projektinitiativen bereit gestellt. Dabei stand die Verpflichtung der anwesenden Staaten und Organisationen für den Schutz von ca. 1.900.000 km2 Meeresgewässer im Mittelpunkt - allen voran der von Staatspräsidentin Michelle Bachelet bei Konferenzeröffnung feierlich angekündigte Meerespark Rapa Nui. Er erstreckt sich rund um die 4.000 km vom Festland entfernten Osterinseln, in chilenischen Hoheitsgewässern. Mit einer Fläche von 720.000 km2 ist dies der drittgrößte Meeresschutzpark der Welt, direkt nach dem grönländischen Nationalpark und den Phoenix Islands in Kiribati.
Zu den freiwilligen Verpflichtungen gehören weiterhin das Engagement Costa Ricas für die Hochsee-Müllentsorgung - ein Projekt, das von den USA und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) auf die Karibik ausgedehnt werden soll. Fürst Albert II von Monaco versprach außerdem, das Forum mit den wissenschaftlichen Erkennnissen der von ihm geförderten Erforschung der Versauerung der Meere durch den Kohlendioxid-Eintrag zu versorgen.
In der „Monaco-Deklaration“ vom Oktober 2008 (Second International Symposion on the Ocean in a high-CO2 World) hatten Fürst Albert und seine Wissenschaftler bereits vor der akuten Gefahr der kollabierenden Meere gewarnt. Stiege der Säuregrad weiter, hieß es, drohe der weitweite, biologische Zusammenbruch ganzer mariner Ökosysteme.
Zwei Monate vor dem für Dezember 2015 in Paris angesagten Klimagipfel (COP21), äußerten die Regierungsvertreter die Hoffnung, dass der Meeresverschmutzung als akutes Problem in der bevorstehenden UN-Konferenz ein grösseres Gewicht als bisher zugemessen werde.
Was nehmen wir mit nach Hause?
Das Meer braucht dringend Schutz. Viele der Initiativen weisen in die richtige Richtung und sind eigentlich längst überfällige Umsetzung früherer internationaler Verpflichtungen. Doch viele Fragen bleiben, insbesondere in Bezug auf die Legitimität des Prozesses. Es ist unvermeidlich, dass die kurzfristigen Interessen einiger Leute für längerfristige Verbesserungen zurücktreten müssen. Aber das Gesamtergebnis wird an einer gerechten Verteilung der Lasten und des Nutzens gemessen: wer die Rechnung bezahlt und wer profitiert.
Das hat viel mit der Bekämpfung weiterer Marginalisierung der Kleinfischer und Küstenbewohner und mehr Transparenz in dem oft undurchsichtigen Betrieb der Fischerei- und Meeresindustrie zu tun.
Alle Fotos sind vom Autor.