Der Kontrast konnte kaum stärker sein: 85 Prozent der befischten Bestände in den europäischen Gewässern liegen derzeit unter einem gesunden Niveau - doch wenn sie sich erholen könnten, würde die Fischerei 57 Prozent oder fünf Millionen Tonnen mehr auf nachhaltigen Basis fangen!
Dies ist das Ergebnis der Studie von 397 Beständen durch ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dr. Rainer Froese vom GEOMAR, Kiel. Die unabhängigen Experten stellten fest, dass der Gesundheitszustand von nur 47 europäischen Beständen (12 Prozent) den Anforderungen der europäischen Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) entspricht. Rund 254 der Bestände (64 Prozent) sind überfischt. Aber es ist nicht nur eine Frage der Legalität, sondern ebenso eine Frage des Verlustes riesiger Vorteile für buchstäblich alle Stakeholder, vor allem die Fischer selbst.
Erfreulicherweise zeigt die Analyse auch, dass in Abhängigkeit vom tatsächlichen Zustand der Bestände nur wenige Jahre der Erholung oft ausreichen würden, um gesunde Bevölkerungsgrößen wiederherzustellen. Wenn es ihnen erlaubt würde, ihre Biomasse wieder aufzubauen, würden einige Arten sogar dreimal mehr als heute liefern. Die Forscher zeigen, dass dies z.B. für Schellfisch und Kabeljau in der Nordsee, für Dorsch und Hering in der Ostsee und für Sardinen im Kantabrischen Meer in Spanien der Fall wäre.
Im Vergleich der Ökoregionen zeigen die Wissenschaftler, dass die Barentssee und die norwegische See den höchsten Anteil an Beständen (50 Prozent) haben, die den Zielen der GFP entsprechen. Im Mittelmeer erreicht weniger als ein Prozent diese Vorgaben - nur ein Bestand von 169 wird verwaltet, um hohe Erträge nachhaltig zu sichern.
Dies bedeutet, dass die derzeitigen Fänge überwiegend aus Beständen stammen, die zu klein sind, um hohe Ernten dauerhaft zu gewährleisten. Es bedeutet auch, viel mehr Fangdruck auszuüben, als für höhere Erträge von größeren Beständen benötigt würde. So bestätigen sowohl die biologischen als auch die ökonomischen Erwägungen, dass ein Verstoß gegen die Richtlinienvorgaben der europäischen GFP Verschwendung und große Verluste verursacht, in einigen Fällen sogar besonders massive, wie für den Ostseedorsch oder das gesamte Mittelmeer.
Die Studie ist ein Weckruf für Politiker endlich dem wissenschaftlichen Rat zu folgen. Die neue Gemeinsame Fischereipolitik hat die Überfischung illegal gemacht und verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die Bestände bis 2020 in einen gesunden Zustand zu bringen, um nachhaltig hohe Erträge zu erzielen. Um diese Ziele zu erreichen, liefert die Analyse eine solide Handlungsgrundlage, sobald die gesunden Populationsgrößen wiederhergestellt werden. Ein vorsichtiges Management würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass für jede einzelne Art 90 Prozent des nominalen maximalen nachhaltigen Ertrages (englisch maximum sustainable yield, kurz MSY) als Ziel festgelegt wird, da die Arten in der Natur miteinander in Beziehung stehen.
"Die Erholung der Fischbestände muss durch dringende Erhaltungsmaßnahmen und mehrjährige Bewirtschaftungspläne auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten ermöglicht werden. Eine vorsichtige Bewirtschaftung der erneuerbaren Meeresressourcen ist in Europa und in anderen Teilen der Welt ökologisch und wirtschaftlich von Vorteil," fasst Dr. Cornelia E Nauen, Vorsitzende von Mundus maris zusammen.
Die ersten Nutznießer einer nachhaltigen Bewirtschaftung wären die Fischereibetriebe, die dank gesunder Bestände mit weniger Aufwand gute Fänge erzielen können und auch weniger Umweltschäden verursachen würden, z.B. durch Vermeidung von Beifang. "Lokale Produktion bedeutet frische Erzeugnisse für die Verbraucher, gute Arbeitsplätze in Europa, weniger Kraftstoffverbrauch und damit Klimaschutz und ein Ende der Konkurrenz um knappe Fische mit Kleinfischern in Entwicklungsländern", so Dr. Nauen weiter.
Fernfischerei durch europäische Flotten, die in Europa keine Ressourcen mehr nutzen können, sind immer wieder ein Gegenstand der internationalen Kritik. Die Entwicklungsländer vermuten oft einen gewissen Grad illegaler oder nicht gemeldeter Fischerei, da ihre Überwachungsmaßnahmen zu wünschen übrig lassen, während sich die Fischer selbst über ein Übermaß an Kontrollen beklagen, wohin sie auch fahren. Die rechtlichen Zugangsrechte zu anderen Fischfangbegieten stellen zudem für den europäischen Steuerzahler signifikante Mehrkosten dar, während sie in Europa nur rund sieben Prozent der gesamten Fischereiprodukte ausmachen. Diese wenigen zusätzlichen Überlegungen zeigen, wie viele Vorteile die vollständige Umsetzung der GFP bietet.
Diese unabhängige Studie ist die bisher umfassendste wissenschaftliche Analyse der Fischereiressourcen in den von der GFP betroffenen europäischen Meeren. Es wurde von der Umwelt-Nichtregierungsorganisation OCEANA in Auftrag gegeben und in Brüssel auf einer Pressekonferenz am 14. Nov. 2016 vorgestellt.
Die Forscher verwendeten eine neue Methode, um eine umfassendere Abdeckung dieser 397 Bestände von 120 Arten von Fischen und Wirbellosen zu ermöglichen. Die Methode führt zu Ergebnissen, die weitgehend gleichbedeutend mit konventionellen Bestandsbewertungen sind, aber weniger anspruchsvolle und teure Forschung erfordern.
Mundus maris empfiehlt daher, sie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen so bald wie möglich zu ihrem zweijährlichen Bewertungsbericht der weltweiten Fischereiressourcen bereitzustellen. Darüber hinaus ist es besonders wünschenswert, Wissenschaftler und Führungskräfte aus Entwicklungsländern in dieser Herangehensweise auszubilden und so dazu beizutragen, dass die nachhaltige Nutzung mariner Ressourcen zur Norm gemacht wird.
Lesen Sie hier die Pressemitteilung.
Die vollständige Studie kann von der GEOMAR Webseite oder durch klicken hier heruntergeladen werden.